Gipfeltreffen der Nationalbibliotheksdirektorinnen

Der Einladung zum «Gipfeltreffen der Nationalbibliotheksdirektorinnen» sind rund 100 Personen gefolgt. Frau Cécile Vilas, Präsidentin SIGEGS, bewies sich einmal mehr als wortgewandte Moderatorin und führte gekonnt durch den Abend.

 

Zu Beginn erfuhr man, dass die Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek, Frau Dr. Rachinger, den Zugang zu Büchern über eine Pfarrbibliothek in ihrem Heimatort fand. Die österreichische Nationalbibliothek stellte sich denn auch in dieser Runde durch ihre Organisationsform als einzigartig heraus, da sie in Bezug auf die Finanzierung beim Bund ausgegliedert ist. Sie verfügt zwar über einen Staatsbeitrag, ist aber frei, eigenes Geld zu erwirtschaften. Aus der Privatwirtschaft kommend, gelingt es Frau Rachinger ausgezeichnet, privatwirtschaftliche Ansätze in die Bibliothekswelt zu übertragen: So vergibt die österreichische Nationalbibliothek etwa Patenschaften für Bücher – u.a. auch für die Originalpartitur des Mozart Requiems –, verfügt über einen Verein der Freunde der Nationalbibliothek, eine Mitgliedschaft für Firmen im Prunksaalclub oder ein Sesselsponsoring im Lesesaal. Dies alles sei der Verdienst von intensivem Networking, was auch sehr zeitaufwändig sei, so Frau Rachinger. Besonders am Herzen liegen Frau Rachinger die Erhaltung des kulturellen Erbes für spätere Generationen sowie die Vermittlung – quasi die Sicherung zukünftiger Zielgruppen.

Frau Niggemann ist von Haus aus Biologin und über verschiedene Umwege in die Bibliothekswelt gekommen. Seit 10 Jahren ist sie als Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek mit Standorten in Leipzig und Frankfurt am Main erfolgreich tätig. Privat liest sie mit Vorliebe Romane – Sachbücher eher seltener – und zu ihren Favoriten gehören Günther Grass und Doris Lessing. Auch erfährt man, dass sie ein Fan von Kinderbüchern ist. Mit einem langjährigen Anteil von über 70% Frauen ist die Deutsche Nationalbibliothek in Sachen Frauenförderung ein Vorzeigebeispiel. Eine Besonderheit der Deutschen Nationalbibliothek ist auch, dass diese als Private-Public-Partnership von den Verlegern gegründet wurde. Zudem erfährt man von Frau Niggemann, dass in Deutschland im gesetzlichen Auftrag stehe, dass das Original so lange als möglich zu erhalten sei. Man digitalisiert aber natürlich präventiv. Als grösste Herausforderungen beim Digitalisieren sieht sie das rechtzeitige Erkennen der Hinweise auf Zerfall bei Tonträgern (v.a. bei Kassetten und CDs) sowie die periodisch anfallenden Migrationen durchzuführen. Last but not least ist die Deutsche Nationalbibliothek, als eine der weltweit grössten Bibliotheken, einzigartig in Sachen Neuzugängen: Bis zu 4000 sind es pro Tag! Dies zeigt auch, dass es um eine quasi «industrielle» Bewältigung der Erschliessung und Erhaltung geht.

Frau Doffey studierte Archäologie und gelangte über verschiedene Stationen bei Kantons- und Universitätsbibliotheken 1991 zur Schweizerischen Nationalbibliothek, wo sie seit 2005 als Direktorin amtet. Ein Buch, welches sie besonders geprägt hat, ist «Le Deuxième Sexe» von Simone de Beauvoir. Die Besonderheit der Schweizerischen Nationalbibliothek sei der Auftrag, alle helvetischen Publikationen zu sammeln und Folge dessen habe man eine vollständige Sammlung. Einzigartig sei auch, dass in der Schweiz die Heimausleihe möglich sei. Typisch schweizerisch ist es nicht etwa so, dass die Schweizerische Nationalbibliothek eine Leadership Rolle habe, nein, die Kultur und damit auch das Bibliothekswesen sei Sache der Kantone. Analog zu Deutschland ist die Erhaltung auch im Schweizer Gesetz verankert. Aus diesem Grund investiert man in der Schweizerischen Nationalbiblio-thek viel in dieses Thema. In Sachen Papier äussert sich dies in Massenentsäuerungsprozessen, aber gleichermassen wichtig sei auch die frühzeitige Erkennung von Zerfällen bei Musik und Film-Dokumenten. Frau Doffey sieht die Digitalisierung folglich auch als eine Form der ergänzenden Erhaltungsstrategie.

Das diskutierte Themenspektrum war äusserst breit: Von den «Strategien und Visionen» der nächsten Jahre über die Organisation der Erhaltung / Konservierung bis hin zu den unterschiedlichen Vermittlungsaktivitäten. Hier zeigte sich, dass die drei Nationalbibliotheken in ihren Grundaufträgen zwar sehr ähnlich sind, doch ist jede der drei Bibliotheken ein «historisch gewachsener Betrieb» mit ihnen zugeteilten Institutionen (z.B. Literaturarchiv, Haus der Geschichte, Deutsches Musikarchiv).


Zum Schluss fragte Frau Vilas die Direktorinnen nach ihrem Wunsch für die Bibliothekswelt: Frau Rachinger äussert einen zweifachen Wunsch: Sie möchte die virtuelle Bibliothek stärken, aber auch physisch muss es weitergehen. Sie ist sogar der festen Überzeugung, dass es die offline Bibliothek noch lange geben wird, denn diese befriedige eine Sehnsucht der Menschen, in Ruhe zu arbeiten und «real» auf andere Menschen zu treffen.


Frau Niggemann hält fest, dass Bibliotheken immer erst im Fokus stünden, wenn etwas passiere (z.B. Wasserschaden, Brand). Sie wünscht sich zukünftig mehr Wertschätzung für die Arbeit in den Bibliotheken und eine Verschonung von schlimmeren digitalen Katastrophen. Frau Doffey möchte inskünftig die Forschungskapazität stärken und sieht im Umbauprojekt der Schweizerischen Nationalbibliothek eine «Chance, neu zu denken».

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