Mit fast 40 Teilnehmenden traf die Ankündigung des Vortrags von Herrn Wismer erneut auf grosses Interesse. Etienne Wismer, Doktorand am Institut für Kunstgeschichte der Uni Bern, führte uns an diesem Nachmittag in seinem Vortrag in den Dreikönigssaal im Alten Stockalperhaus in Brig. Er liess uns in die Kunstgeschichte und Papierrestaurierung eintauchen.
Das Stockalperhaus wurde 1532 erbaut, dann etwa um 1640 erweitert und später wurde der grosse Stockalperpalast hinzugefügt. Der Raum, in dem sich die Tapete befindet, ist 70m2 und die Wandlänge etwa 8×8.5m. Vorzufinden sind rund 30m Papiertapete mit einer Höhe von fast 3 Metern. Auf der linken Raumseite ist eine Landschaftstapete, oder ein bisschen irreführend ausgedrückt eine sogenannte «Panoramatapete», zu sehen. Verschiedene Bildwelten werden dargestellt.
Solche Tapeten kamen um 1804/05 in Paris in Mode und auf den Markt. Mit unzähligen Holzmodeldrucken wurden einzelne 40-50cm Dominopapiere hergestellt, die dann zu einem Bild zusammengefügt wurden.
Etienne Wismer erläuterte uns einige Stationen der Tapete: Auf den ersten Blick ist viel Himmel zu sehen (gegen einen Aufpreis konnte man die Wolkenpartie von Hand nach Befestigung der Tapete aufmalen lassen), dann Bäume in verschiedenen Grössen, Ansichten der Schweiz wie den Staubbachfall, eine Flusslandschaft, ein Bauernhaus oder die Teufelsbrücke, sowie der Rhonegletscher und das Matterhorn. Man könnte fast sagen, dass es eine «Best of Landschaft», also die schönste Seite der Schweiz darstellt. Dadurch wurde ein gewisses Bild der Schweiz vermittelt.
Ein Bild vor der Restauration zeigt, dass der Dreikönigssaal sich selbst überlassen wurde. Die Erhaltung der Tapeten war nicht wichtig. Trotz der hohen Auflagen – bis 1815 wurden rund 1100 Exemplare verkauft – ist in der Schweiz nebst der Tapete im Dreikönigssaal nur noch ein Exemplar in Lenzburg vorhanden. Die Dekorationsgrafik stellte ein Gebrauchsgegenstand dar, der abgerissen wird, sobald er nicht mehr gefiel.
In einer ersten Diskussionsrunde kam die Frage auf, wer eigentlich darüber entscheidet, was erhalten und restauriert wird. Oft werden Restauratoren erst einbezogen, wenn der Entscheid schon gefällt wurde. Auch die Papiertapete im Dreikönigssaal hat eine unglaubliche politische Geschichte hinter sich, wie uns Herr Wismer eindrücklich erzählte. Eine Vielzahl an Akteuren und Behörden waren involviert und es herrschte grosse Uneinigkeit. Nach dem Kulturgütergesetz kam es zu einer Enteignung. Zwischen 1971 und 1999 fand die Restaurierung statt. Der ehemaliger Besitzer Kaspar Eugen von Stockalper verwirklichte bei der Einrichtung des Raumes eine Selbsterzählung der eigenen Ansprüche. Sowohl seine Nähe zu Italien wie auch zum Wallis zeigen sich in dem fliessenden Übergang von einem italienischen Ruinenmotiv zur Schweizer Landschaft.
Spannend zu sehen ist, dass bei der Restauration fast schon in die Erzählung der Tapete eingegriffen wurde. So wurden die beiden Motive und damit der fliessende Übergang durch eine Türe getrennt. Leider ist der Saal heute nicht öffentlich begehbar wie ein Museum, sondern er darf nur geführt in einem Rundgang besucht werden.
Unter dem Stichwort «paper first» machte Herr Wismer Erläuterungen zum Verhältnis von Fläche und Raum. Er äusserte die These, dass der Bauraum der Tapete angepasst wurde. So wurde quasi für die Tapete gebaut. Dies ist zum Beispiel bei den hohen Bäumen ganz schön zu sehen, die ihren Platz jeweils in einer Wölbung finden.
Eine witzige Anekdote erfuhren wir zum Schluss auf die Frage, wie denn solche Tapeten überhaupt marketingmässig an die Kundschaft gebracht wurden: Mit Hilfe von Führungsbüchern (mit Bildern und Erklärungen) oder Leporellos (mit Preisangaben und Vorschlägen, welche Tapeten zusammengeführt werden könnten). Später im 19. Jahrhundert gab es auch einen Sekundärmarkt, fast wie heute Ricardo – oder wie sie alle heissen – wo gebrauchte, gut erhaltene Tapeten angepriesen wurden.